Sind wir nicht alle ein wenig Gen Z?

Schriftzug Gen Z in rosa Kreis auf gelbem Hintergrund

Der viel beschriebene Fachkräftemangel dräut seit Jahren am Firmament. Und wer, fragen wir uns, kann ihn aufhalten? Einzig und allein die Nachwuchskräfte der jungen Generation natürlich – mit ihrem jugendlichen Welpencharme und der schier endlosen Energie. Doch, ach, die sogenannte Gen Z weigert sich, mitzuspielen.

Erwünschter Nachwuchs

Die Sorgen um den Nachwuchs kreisen vor allem um die Gen Z und wie Arbeitgebende sie für sich gewinnen können. Da stellt sich die Frage: Müssen Nachwuchskräfte erst kürzlich geboren sein?

Tatsächlich meint Nachwuchs im klassischen Sinne meist sehr junge Nachkommenschaft. Der freudig erwartete Familiennachwuchs rekrutiert sich meist aus noch ungeborenen Generationen – der Abkömmling, Nachfahre oder Spross.
Sprossen sind übrigens wahnsinnig schnell nachwachsend und sehr gesund. Überhaupt nachwachsende Rohstoffe, immer wieder hochgelobt und restlos ausverkauft.

Ist also Wachstum hier das eigentliche Thema und wir sind alle nur Saatgut für den Arbeitsmarkt? Dann sollte der freudig erwartete Nachwuchs für die Arbeitgebenden natürlich schön frisch und jung sein. Also momentan am liebsten aus der Gen Z stammen – jünger ist politisch (noch) nicht machbar. Dabei ist Wachstum in vielerlei Hinsicht in jedem Alter möglich.

Unerwünschter Nachwuchs

Es gibt auch Nachwuchs, der vielfach mit mäßiger Begeisterung betrachtet wird, wie der von Körperhaaren oder Unkraut. Auch der Nachwuchs von Ratten oder Lebensmittelmotten wird oft viel weniger freudig begrüßt als der von Hunden oder Katzen.

Für Arbeitgebende scheint es ebenfalls unattraktiven Nachwuchs zu geben. Zum Beispiel die lästig demografisch nachwachsenden Frauen in der Lebensmitte, die sich beruflich weiterentwickeln und verändern wollen. Aber diese werden von ihnen kurzerhand immer wieder abrasiert. Oder ignoriert – Motto: Lass wachsen, ich guck’ einfach nicht mehr hin.

Beschämt wird sich weggedreht, wenn Frauen Aufstiegsmöglichkeiten fordern und sich wieder und wieder die Frisuren ruinieren an gläsernen Decken. Dezent wendet sich der Blick ab von Frauen, die nach einem hochprozentigen Mix aus Care-Arbeit und Lohnarbeit bewegungsunfähig im Burn-Out erwachen. Der Blick wird bewusst an Frauen in den Wechseljahren und ihren veränderten Herausforderungen im Job vorbei gerichtet. Frauen, die den gewünschten Nachwuchs in liebevoller Handarbeit produziert und schließlich bis zur Marktreife vervollkommnet haben, werden mit hüstelndem Augenrollen bedacht, wenn sie es wagen dem Arbeitsmarkt wieder persönlich vorstellig zu werden.

Oh nein, das ist nicht der Nachwuchs, den sich Arbeitgebende zur Bekämpfung des Fachkräftemangels vorgestellt haben. Sie wollen nur das junge Gemüse. Aber warum?

Jung ist immer besser

Nun, es könnte an ihrer Vorstellung liegen, dass diese jungen Menschen aufgrund ihrer geringeren Lebens- und Berufserfahrung kostengünstiger in der Anschaffung (Einstiegsgehalt) und Haltung (Obstkorb & Kicker) seien. Oder dass junger Nachwuchs so schön formbar und damit noch anpassbar an das Prinzip „viel Arbeit für wenig Geld“ wäre. Oder dass sie leichter in patriarchal geprägte, hierarchische Strukturen zu pressen wären. Oder dass jung = dynamisch bedeutet. Wer kennt es nicht das „junge, dynamische Team“ als einheitliche Phrase aus diversen Stellenanzeigen. Jung ist für sie eben grundsätzlicher besser als alt (und womöglich auch noch weiblich).

Sind wir nicht alle ein wenig Gen Z?

Und nun entpuppt sich die so sehnlichst erwünschte ‚Knetmasse für wenig Knete‘ als denkbar ungeeignet für den Erhalt von Kapitalismus und Patriarchat. Sie fordern Dinge. Haben Ansprüche. Eigene Vorstellungen. Was fällt ihnen ein?

Nein, jetzt mal wirklich, was fällt ihnen denn ein? Einige der medial am häufigsten genannten Forderungen der Gen Z an die Arbeitswelt lauten:

  • Sinnhafte Arbeit
  • Angemessene Bezahlung
  • Flexible Arbeitsmodelle
  • Vereinbarkeit
  • Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten
  • Gleichberechtigung
  • Diversität
  • Nachhaltigkeit
  • Augenhöhe

Und ist die Gen Z/jüngere Generation allein mit ihren Forderungen zum Wandel in der Arbeitswelt? So scheint es, möchten uns zumindest ein paar mächtige ältere Herrschaften gern medial weismachen.

Und durch diese sich immer wiederholende Erzählung der angeblich vollkommen voneinander separierten Generationen wird ein (für Arbeitgebende profitabler) Graben geschaffen, der eine Solidarisierung der Arbeitnehmenden verhindert.  

Schriftzug Generation X & Z auf rosa Hintergrund mit hellen Fragezeichen als Muster

Schulter an Schulter, die Fäuste gereckt

Es lohnt sich also darüber nachzudenken, welche Brücken zwischen dem jungen und dem nicht mehr ganz so jungen Nachwuchs geschlagen werden können. Beispielsweise zwischen Frauen in der Lebensmitte und der Gen Z wäre ein Schulterschluss hervorragend geeignet, um sich gemeinsam für einen Systemwandel, eine intersektional feministische Arbeitswelt und das gute Leben für alle einzusetzen. Allein in meinem Umfeld befinden sich viele Frauen in der Lebensmitte, die die Forderungen der Gen Z sofort unterschreiben, sich mit ihnen solidarisieren und mit ihnen gemeinsam den Arbeitgebenden aufs Dach steigen würden.

Gemeinsam altersdiskriminiert

Aber wie sieht es umgekehrt aus? Wäre Gen Z auch solidarisch mit ihnen? Nun, es ist bisher noch überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden, die Anliegen dieser beiden Gruppen gemeinsam zu denken. Was wären ihre Gemeinsamkeiten auf die Arbeitswelt bezogen?

Da gibt es viele. Aber eine ist ganz bestimmt, dass beide Benachteiligung erfahren aufgrund ihres Alters in der Arbeitswelt. Beide erleben von Arbeitgebenden Altersdiskriminierung – die einen Adultismus , die anderen Ageismus.

Jung = naiv

Für ersteres haben Simbi Schwarz & Manuela Ritz in ihrem Buch „Adultismus und kritisches Erwachsensein“ folgende Definition gefunden:

„Adultismus ist, wenn Ältere bzw. Erwachsene sich das Recht herausnehmen, über Jüngere zu bestimmen und in ihrem Namen zu entscheiden.“

Sie zitieren in ihrem Buch außerdem den kanadischen Autor Adam Fletcher:

„Wenn eine Entscheidung ausschließlich auf der Grundlage des Alters getroffen wird, anstatt aufgrund der Fähigkeiten eines Menschen, ist das Diskriminierung. Eine Sprache, die ausschließt, verharmlost oder junge Menschen klein macht, ist Diskriminierung. (…) Jedwedes Verhalten und jede Einstellung, die routinemäßig jungen Menschen gegenüber voreingenommen ist, nur weil sie jung sind, ist Diskriminierung.“

So werden auch die Ansprüche und Forderungen der jungen Gen Z immer wieder von Arbeitgebenden als „naiv“, „unrealistisch“ und „verwöhnt“ abgetan. Weil die Forderungen von jungen Menschen kommen, wird ihnen eine gesamtgesellschaftliche Relevanz abgesprochen.

Alt = krank

Ageismus wiederum bezeichnet die soziale und/oder ökonomische Benachteiligung von Personen aufgrund ihres (meist höheren) Alters. Diese Form der Altersdiskriminierung entsteht ebenfalls aus stereotypem Denken, Vorurteilen und anekdotischer Evidenz.

Das höhere Alter einer Person wird dabei oft mit bestimmten Fähigkeiten, körperlicher oder geistiger Leistungsfähigkeit verbunden. Ältere Mitarbeitende werden beispielsweise für rückwärtsgewandt, gebrechlich/öfter krank, lernunwillig oder als weniger produktiv angesehen.

Schriftzug Generation A-Z auf gelbem Hintergrund mit rosa, gereckten Fäusten als Muster

Intergenerationelle Weltverbesserung

Diese Vorurteile entstehen zwischen den Generationen vor allem, wenn intergenerationelle Kontakte fehlen. Ein Abbau der Diskriminierung und eine Verbesserung des gegenseitigen Altersbildes kann sich aber durch eine Kollaboration mit einem gemeinsamen Ziel einstellen.

Weltverbessernde Projektvorschläge für eine gemeinsame Zusammenarbeit könnten sein:

  • Abschaffung des Patriarchats
  • Intersektional feministischer Systemwandel
  • Diskriminierungsfreie Gesellschaft
  • Teilhabe für alle
  • Klimagerechtigkeit
  • Alternativen zum Kapitalismus
  • Neuordnung von Zeit und Arbeit

Denn dies sind mitnichten „junge“ Themen, für die sich „ältere“ Generationen nicht mehr erwärmen können. Und durch (alters-)diverse Teams und Projekte würde ein Austausch entstehen, der das Beste aus allen Welten in Verbindung bringt und Unterschiede positiv nutzt.

Also, liebe Gen Z, Frauen in der Lebensmitte und sämtliche anderen Generationen, bildet Banden! Und lasst Schulter an Schulter die Welt zum Besseren verändern.


Begriffserklärungen:
  • Kurz vorweg, wenn ich im obigen Text von Gen Z spreche, meine ich die Generation, die nach 1995 geboren ist.
  • Die Frauen in der Lebensmitte sind eher Generation X, also zwischen 1965 und 1980 geboren. Sie befinden sich in dieser Lebensphase meist auch in den Wechseljahren.
  • Die berechtigte Kritik an der Einteilung in Generationen, teile ich: Die individuellen Unterschiede zwischen Geschlechtsidentität, Klasse, Herkunft, Religion, sexuelle Identität und Behinderung werden bei der Generationeneinteilung ignoriert. Denn nicht nur gemeinsame Erlebnisse in der Jugend prägen Personen. Ereignisse in der Gesellschaft können Menschen auf unterschiedliche Weise beeinflussen, unabhängig von ihrer Generation. Und sie fördern oft negativ konnotierte Generationenklischees und Stereotype.
    Allerdings bedeutet diese Kritik nicht, dass die Einteilung in Generationen völlig bedeutungslos wäre. Denn um Generationenbeziehungen zu verstehen und zu erfassen, braucht es auch eine künstliche Einteilung, die die jeweiligen Bedürfnisse und Anliegen sichtbar und vergleichbar macht. Und deswegen übernehme ich hier diese Einteilungen.
  • Intersektionaler Feminismus – setzt sich dafür ein, dass Gleichberechtigung nicht nur geschlechtsspezifische Ungerechtigkeiten bekämpft, sondern alle Formen der Unterdrückung und Diskriminierung abgeschafft werden. In Solidarität miteinander zu stehen, Machtstrukturen in Frage zu stellen und sich gegen die Ursachen von Ungleichheiten auszusprechen, sind entscheidende Maßnahmen, um eine feministische Zukunft zu erschaffen, die niemanden im Stich lässt.
  • Patriarchat – beschreibt ein System, das von Männern für Männer gemacht wurde und wird und umfasst alle Normen und Wertvorstellungen unserer Gesellschaft, die die Vormachtstellung des Mannes aufrechterhalten und schützen. Dabei sind im Patriarchat alle benachteiligt, die vom cis männlichen, heterosexuellen Ideal abweichen – also längst nicht nur Frauen! 
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