Beruflicher Neustart in der Lebensmitte – mutig oder kompletter Irrsinn? Ich habe es gewagt und bin auf dem Höhepunkt meiner Karriere ausgestiegen, um erfrischt und mit neuen Ideen wieder einzusteigen.
Neustart mittendrin
Ich habe es getan. Ich habe gekündigt. Mit 48. Auf dem bisherigen Höhepunkt meiner Karriere. Ohne neue Stelle in Aussicht. Warum, wieso, weshalb? Gar nicht so leicht zu beantworten. Im Grunde war alles bestens: Ich hatte eine Führungsposition, ich wurde wertgeschätzt, mein Job war relativ abwechslungsreich, mein Team der Knaller, ich hatte meinen Job soweit optimiert, dass die Arbeitslast endlich erträglich und in Teilzeit zu schaffen war, ich teilte die Unternehmenswerte und begleitete mit Elan die Transformation in ein New Work Unternehmen.
Ausgerechnet an dem Punkt, an dem ich mir die süßen Früchte meiner jahrelangen harten Arbeit genüsslich hätte schmecken lassen können, wollte ich gehen? Tja. Das wäre dann wohl ein klassischer Fall von Gehen-wenns-am-schönsten-ist.
Was ist denn hier los?
Aber jetzt mal wirklich, was war hier los? Nun, erst war es nur ein Gefühl, eine Art Sehnsucht, ein leichtes, aber konstantes Ziehen in der Brust, wie von einer Angelschnur. Doch wer oder was hatte mich da am Haken? Genau das galt es, herauszufinden.
Es wurde mit der Zeit klarer. Der Wunsch nach Veränderung, Neubeginn, Freiheit und Abenteuer formte sich in mir. Wohlige Gänsehaut.
Dann kamen die zweifelnden Fragen dazu: Sind das hier noch Deine Themen? Bietet mir der Job auf lange Sicht genügend Abwechslung? Ist es das, was ich machen will? Ist Dir Deine Selbstwirksamkeit an dieser Stelle wirklich groß genug? Leichtes Unbehagen.
Was lange währt…
Dieser Sehnsuchtsprozess erstreckte sich über circa 2 Jahre und ich überlegte hin und her, wie ich darauf angemessen reagieren sollte. Als erstes dachte ich daran, ein bezahltes Sabbatical-Jahr einzulegen. Das war leider nicht umsetzbar und hätte auch noch weitere Zeit des ansparenden Wartens bedeutet.
Dann überlegte ich eine 3-monatige Auszeit zu nehmen, um wieder zu mir zu kommen. Auch das war nicht möglich und wäre wohl auch viel zu kurz gewesen. Schließlich reduzierte ich meine Arbeitszeit, um mehr Zeit zum Nachdenken und für meine Familie zu haben. Das war super und meine Familie profitierte davon, aber das Ziehen blieb. Und die großartige Denkfreiheit stellte sich auch nicht richtig ein.
Corona – auch das noch
Dann kam Corona und die Sehnsucht verwandelte sich zu einem konkreten Wunsch: Ich wollte einen Neustart wagen. Ich wollte Veränderung, Neues lernen, etwas aufbauen, noch effektiver die Welt verbessern. Die nachhaltige Weltherrschaft (oder vielmehr Weltfrauschaft) wartete auf mich. Und damit war der nächste Schritt klar. Ich musste kündigen.
Denn trotz meiner Ankunft in der Lebensmitte, ist mein Arbeitsleben noch ordentlich lang. Da liegen gut und gerne 10 – 20 Jahre vor mir. Ich brauche einen Job, der mir genügend Gestaltungsmöglichkeiten bietet, damit ich es so lange mit ihm aushalte. Und ich suche ihn mir lieber jetzt als in 5 Jahren mit Ü50.
Ok und nun? Tja, ich hatte keinen Plan, aber eins war klar, wenn ich mich aus meinem Job als Marketing-Leitung, Kommunikations- und Markenentwicklerin woanders bewerbe, mache ich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit den gleichen Job wie vorher. Mit leichten Abwandlungen vielleicht – neues Team, andere Bezahlung, andere Verantwortlichkeiten – aber im Großen und Ganzen sehr ähnlich.
Logisch irgendwie, denn darin habe ich Erfahrung, darin bin ich gut und das habe ich davor auch schon gemacht. Zwischen den Jobs war selten genügend Zeit, um etwas ganz Neues zu lernen. Und neben dem Job fehlte mir erst recht die Zeit und damit auch die Motivation. Sollte Veränderung bedeuten, dass lediglich der Unternehmensname auf meiner Visistenkarte anders war und vielleicht noch der Arbeitsweg?
Also war mein einziger Plan, erst einmal den Kopf frei zu kriegen, um herauszufinden, was ich überhaupt machen wollte. Was wäre dafür nötig? Zeit. Nach der Kündigung kein Problem mehr. Und was noch? Geld. Ich überschlug meine finanziellen Mittel, dank den Corona-Maßnahmen mit ihren beschränkten Möglichkeiten zum Reisen und Ausgehen hatten sie sich angenehm vermehrt. Wenigstens etwas Gutes an der ganzen Misere.
Ein Jahr nur für mich
Ich beschloss, mir ein Jahr Zeit zu geben. Ein Jahr, um mein Leben neu zu justieren, Kraft zu schöpfen, mir Klarheit zu verschaffen, mich neu zu orientieren und weiterzubilden, mit Menschen zu sprechen und Dinge auszuprobieren. Jawoll.
Dafür errechnete ich ein Budget: für meine Grundsicherung zur Lebenshaltung, einen Notfallgroschen für unvorhergesehene Eventualitäten und einen Selbstinvestment-Fonds für Weiterbildungen, körperliche und geistige Fitness, technische Voraussetzungen und mentale und physische Gesundheit. Seit meiner ersten Unternehmensgründung weiß ich zum Glück, mit schmalen Budgets gut umzugehen. Praktisch.
Soviel zum Plan. Jetzt musste ich nur noch kündigen und kopfüber ins kalte Wasser springen. Ich bereitete eine epochale Abschiedsrede vor für mein fabelhaftes Team, um sie von der Unabdingbarkeit meines Weggang zu überzeugen und niemanden zu verunsichern. Einige konnten es danach nachvollziehen, andere hielten es für den puren Wahnsinn, aber alle glaubten an mich und waren mir wohlgesonnen. Perfekt.
Gehen, wenn’s am schönsten ist
Einen Job zu verlassen, wenn’s gerade am schönsten ist, war eine meiner schönsten Erfahrungen soweit. Zu gehen, um in erster Linie etwas Neues zu wagen und nicht weil der physische oder psychische Leidensdruck zu hoch ist. Ich wurde überschüttet mit wertschätzenden Gesten, Reden und Geschenken und begann meinen neuen Weg mindestens 2cm größer als vorher. Optimal.
Zum 1. Juli 2021 war es dann soweit. Der Sommer war heiß, die Haare saßen perfekt, die Freiheit fühlte sich grenzenlos an. Als allererste Amtshandlung als Chefin meines neuen Lebens erstellte ich eine passende Playlist auf Spotify. First things first.
Neustart in der Lebensmitte
Meine Eltern erfüllten gewissenhaft ihre Sorgepflicht und fragten: „Achherrjehmineh, Kind, bist Du Dir da ganz sicher?“ Mein Umfeld gratulierte mir zu meinem „mutigen“ Entschluss. Und die meisten Midlife-Freundinnen verstanden mich nicht nur, sondern wollten etwas ganz Ähnliches – trauten sich aber nicht so recht. Und nach ein wenig Recherche zu dieser Reaktion, begann die Idee für diesen Blog in mir zu reifen.
Doch zunächst skizzierte ich einen groben Plan zum weiteren Vorgehen bei der „Operation Neustart in der Lebensmitte“. Die ersten beiden Monate sollten der Ideenfindung gewidmet sein, dem Abschied vom Alten und der Öffnung zum Neuen – und dem Sommer! Danach sollte der Ideensack dann mal ein wenig enger geschnürt und einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Bei welchen Vorstellungen reagiert mein Herz besonders stark, welche Idee hat Potenzial und wie könnte ich diese dann umsetzen? Was möchte ich tun, was nicht mehr? Wie möchte ich zukünftig arbeiten? Wie leben?
Und so ähnlich machte ich es dann auch. Aber dazu mehr an anderer Stelle auf diesem Blog.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit, liebe Lesende.
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[…] Beispiel: „das Jahr des Neubeginns“ oder „das Jahr der Achtsamkeit“ oder „das Jahr der Liebe“ […]