Der 2-Stunden-Arbeitstag oder was ist Arbeit?

Die 40-Stunden-Woche ist tot, es lebe der 2-Stunden-Arbeitstag! Der Versuch, mein Sabbatical effizient zu organisieren und Arbeit für mich zu definieren.

Der 2-Stunden-Arbeitstag – New Work im Sabbatical

Um mir Struktur zu geben und nicht versehentlich in ein Loch zu fallen nach meinem Switch vom geregelten Arbeitsalltag auf ungezügelte Freiheit, habe ich mir einen 2-Stunden-Arbeitstag verschrieben. Von Montag bis Donnerstag sollten 2 Stunden am Tag der effizienten Arbeit an meiner Zukunft dienen, um dann die restliche Zeit in wohlverdienter Freizeit zu schwelgen.

Dieses imaginäre Fallnetz ersann ich noch kurz vor meinem Sabbatical. Es klang vernünftig und durchdacht. Ich war ein bisschen stolz auf mein innovatives Konzept: New Work im Sabbatical. Doch als ich mit dem 2-Stunden-Arbeitstag in meiner 4-Tage-Woche loslegen wollte, musste ich erst einmal klären: Was ist Arbeit? Und zwar ganz konkret – für mich in meiner jetzigen Lebenssituation? Was zähle ich zu Arbeit, was macht sie für mich aus? Was soll als Arbeit in meinen 2-Stunden-Arbeitstag einfließen? Fragen über Fragen – soviel zu durchdacht. Irgendwas ist immer.

Was ist Arbeit?

Es fehlte also zunächst eine anwendbare Definition von Arbeit. Welche meiner Tätigkeiten konnte als Arbeit betitelt werden und welche nicht? Und warum? Das gab mir erstmal ein paar Tage Stoff zum Denken. Un­d Denken ist bekanntlich Arbeit. Oder zählt das nur dann, wenn Ergebnisse daraus resultieren? Da ging’s schon los.

Also, was ist Arbeit? Aus Sicht der Arbeitsagentur war von Arbeit erst wieder zu sprechen, wenn ich keine Bezüge mehr erhielt. Somit wäre mein einziges Ziel und Streben, also mein Arbeitsauftrag, alles zu unternehmen, was zu diesem Ziel führt. Aber dieses Ziel war ja nicht meines, sondern das der Arbeitsagentur.

Ist Denken Arbeit?

Mein Ziel war ja herauszufinden, was ich wirklich, wirklich will – vom Leben, von meinem zukünftigen Arbeitsfeld und überhaupt. Ok, dann ist die Beschäftigung damit eben Arbeit?

Hm, gut, wenn ich das mal so als Hypothese nehme, dann wäre ein Buch zur Selbstentwicklung lesen – eins von diesen augenöffnenden, lebensverändernden Sachbüchern – auch Arbeit. Ja, schon, denn es führt mich möglicherweise einen Schritt weiter auf meiner Reise. Gut. Und was ist mit einem Roman, der mich tief beeindruckt und mein Selbstverständnis nachhaltig ausbildet? Wo ist die literarische Grenze – beim Genre, beim Inhalt? Und wann stelle ich fest, dass das Gelesene etwas in mir bewirkt hat? Seufz. Herrjeh, was weiß denn ich.

Ist nur Lohnarbeit, echte Arbeit?

Zurück auf sicheres Terrain – Stichwort „Geld“: Lohnarbeit ist natürlich Arbeit. Tzja, aber so richtig Lohn bekomme ich ja gerade nicht. Und überhaupt, ist nur bezahlte Arbeit, auch „echte“ Arbeit? Natürlich nicht, dann wäre Care-Arbeit ja keine Arbeit und das ist sie definitiv.

Wenn ich mich um die finanziellen Belange meiner betagten Eltern, um ihren Papierkram und sonstige Bedürfnisse des täglichen Lebens kümmere, fühlt sich das nicht nur sehr nach Arbeit an, es ist auch welche. Check.

Aber zählt es auch als Arbeit, wenn ich sie in der ereignisarmen Corona-Pandemie geistig und kulturell unterhalte? Macht sonst keiner, wenn ich es nicht tue. In besseren/teureren Pflegeeinrichtungen werden Beschäftigungstherapeut*innen dafür bezahlt. Also könnte das auch dazu zählen. Es macht mir aber Spaß. Und meinen Eltern erst. Und wir lieben uns doch. Ist das dann wirklich noch Arbeit?

Darf Arbeit Spaß machen?

Und da kommt schon ein weiterer Faktor ins Spiel: Darf Arbeit überhaupt Spaß machen? Oder ist Spaß die Grenze und alles, was danach kommt ist Freizeit? Arbeit darf nicht Spaß machen, sie muss es sogar tun – zumindest für mich, damit ich sie mache.

Für die Arbeit opfere ich ganz selbstverständlich einen großen Teil meiner Lebenszeit. Ich setze meine Kreativität für sie ein, schenke ihr meine Ideen, nutze meine Skills und Talente für ihre Zwecke. Ich riskiere meine Gesundheit oder verderbe sie mir sogar für sie. Mit ihrer Verrichtung trage ich zum Wachstum der Wirtschaft bei und mehre jemandes Vermögen – wovon ich dann einen winzigen Bruchteil abbekomme, den sogenannten „Lohn“.

Meine Familie, meine Freund*innenschaften, meine Hobbies und Interessen kommen erst nach den Arbeitsinteressen. Geld allein kann das alles nicht aufwiegen. Spaß ist da wohl das mindeste, was ich zusätzlich erwarten darf.

Aus lauter Spaß habe ich schon mehr gearbeitet als mir bezahlt wurde, da ich die Dinge, die ich leidenschaftlich gern tat im Rahmen meines Jobs, selber nicht als volle Arbeitszeit anerkannt habe. Im Endeffekt zog mein Arbeitgeber am meisten Freude aus meiner Spaß-Arbeits-Ethik. Nunja.

Also, Zwischen-Fazit: Spaß und Arbeit schließen sich nicht aus. So weit, so prima.

Auf hellgelbem Hintergrund ist eine Illustration von einer Laptoptatstatur mit zwei darauf tippenden arbeitenden Händen zu sehen und in einer Gedankenblase daneben eine Frau lesend in einer Hängematte zwischen zwei Bäumen.

Ist alles, was anstrengend ist, Arbeit?

Im Umkehrschluss ist aber nicht alles, was Spaß macht, auch Arbeit. Oder? Hm. Zumindest wird mensch selten dafür bezahlt. Und herauszufinden, was einem wirklich, wirklich Freude bereitet, kann auch anstrengend sein. Ist alles, was anstrengend ist, dann Arbeit? Für viele ist Arbeit definitiv anstrengend. Körperlich oder geistig oder beides.  

Ich habe seit frühester Jugend diverse Jobs angenommen, um eigenes Geld zur Verfügung zu haben. Denn damals gehörte finanzielle Sicherheit noch nicht zu meinen Privilegien. Einmal habe ich eine geschlossene Asylant*innenunterbringung leerräumen müssen. Gefühlt tausende Matratzen habe ich geschleppt bis meine Arme nur noch leblos an meinem Rumpf baumelten. Es war so anstrengend, dass ich danach versehentlich 24 Stunden geschlafen habe vor Erschöpfung. Nicht gerade gut entlohnt, aber definitiv anstrengend.

Bei einem anderen Job musste ich als Messe-Hostess auf hohen Hacken irgendwelchen Kund*innen eines Seifenfabrikanten Sekt anbieten. Nicht wirklich anstrengend, aber fürstlich entlohnt. Anstrengung ist irgendwie auch kein scharfer Gradmesser für „echte“ Arbeit. Und schon wieder verknüpfe ich den Begriff „echte“ Arbeit mit Geld. Hm.

Nur wer Geld verdient, darf genießen?

Bewusst keiner Lohnarbeit nachzugehen, war meine freie Entscheidung. Nicht nur das, es war mein erklärter Wunsch. Die privilegierte und äußerst luxuriöse Situation, in der ich mich befinde, fühlt sich an wie das pure Glück und ich gebe mich ihm mit Freuden hin. Und doch liegt darunter eine Art Schamgefühl, wenn ich nicht wenigstens irgendetwas Arbeitsähnliches mache. Als dürfte ich den schönen Tag, die strahlende Sonne, das gemütliche Bett, das lecker gekochte Essen, das pure Sein nur dann genießen, wenn dem etwas Anstrengendes, Mühsames, Beschwerliches gegenüber steht. Seltsam.

Innere Arbeit lohnt sich

Und woher kommt dieses Gefühl? Mein persönliches Umfeld beobachtet meinen Selbstversuch mit größtem Wohlwollen und einer kleinen Prise Neid. Kein mir lieber Mensch verlangt, dass ich leide für mein Glück. Niemand hat sich nach der messbaren Produktivität meines 2-Stunden-Arbeitstages erkundigt. Und doch fühle ich mich unter Druck gesetzt, produktiv zu sein – und zwar am besten (ent-)lohnenswert. Ist dies das Werk dieser ominösen „Gesellschaft“, die immer alle nervt?

Dann ist der nächste sinnvolle Arbeitsschritt für mich nun klar: Ich löse mich in einem Kraftakt von diesem gesellschaftlichen Druck, der in erster Linie in mir existiert. Gute, echte innere Arbeit. Und morgen fange ich an. Wenn das mal in 2 Stunden am Tag zu schaffen ist.