Über Infantilisierung in Beziehungen & Gender Care Gap

Gender Equality

Ein Ende der Infantilisierung in Beziehungen wäre ein Anfang zur Senkung des Gender Care Gap. Doch was ist eigentlich das eine und andere? Und wie ändern wir es?

Wie steht es um die Verteilung der Care-Arbeit in deutschen Haushalten? Der Zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hat sich diese Frage gestellt und berichtet über den aktuellen Stand der Gleichstel­lung in Deutschland. Spoiler-Alarm – es sieht nicht gut aus. Der Gender Care Gap ist noch immer viel zu hoch. Kein Wunder, kommen doch die strukturellen, politischen Lösungen dieses Problems ebenfalls auch nur sehr, sehr langsam voran. Tzja.

Gender Care Gap – was ist das?

„Gleichstellung bedeutet, dass Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Vorstellungen von einem guten Leben zu verwirklichen. Dazu gehört, die gleichen Möglichkeiten in der beruflichen Entwicklung, an der gesellschaftli­chen Teilhabe und in der Familie zu haben.“, heißt es im Gleichstellungsbericht. Ob und wieviel Zeit wir uns dafür nehmen können, hängt unter anderem auch an einer fairen und gleichwertigen Verteilung der Sorgearbeit ab.

Statistische Grafik 
Überschrift: Gender Care Gap noch immer viel zu hoch
Tägl. zeitl. Mehraufwand von Frauen ggü. Männern für unbezahlte Sorgearbeit2019
Ø Gender CAre GAp 52,4%
bei 34-Jährigenmit Kindern 110,6%
Täglich aufgwendete Zeit für CAre-Arbeit:
Männer 2,31 Stunden; Frauen 5,18 Stunden

Wie unterschiedlich der Zeitaufwand für die Care-Arbeit zwischen Männern und Frauen aktuell noch ist, zeigt die klaffende Sorgearbeitslücke zwischen diesen beiden Geschlechtern – der sogenannte Gender Care Gap (siehe Grafik).

Statistiken belegen klar, dass die Hauptlast der Sorgearbeit in Hetero-Beziehungen nach wie vor die Frau trägt – unfreiwillig und unbezahlt. Die Stunden, die frau für unbezahlte Care-Arbeit aufwendet, fehlt ihr dann bei der verfügbaren Zeit für bezahlte Arbeit im Job. Dies wiederum wirkt sich dann im Alter aus mit geringerer Rente und fehlender Altersvorsorge. So weit, so unfair.

Care-Arbeit – was ist das?

Im Privaten meint Care-Arbeit oder Sorgearbeit alles, was die Aufgaben und Fürsorge im Beziehungs- und Familienkontext betrifft. Dazu können viele Aspekte gehören, wie:

  • Kinderbetreuung & -erziehung (Krippen-, Kita- & Schul-Termine, körperliche Hygiene gewährleisten, Schul- & Hausaufgabenunterstützung, ehrenamtliche Schulämter & -unterstützung, Feier-, Geschenke- & Gäste koordinieren, Spielverabredungen, Sport- und Freizeitprogramm organisieren, Anziehsachen kaufen, Arztbesuche, Zuhören & Ansprache, Wertevermittlung, Zeit-, Konflikt- & Krisenmanagement, …)
  • Haushaltsführung (kochen, aufräumen, waschen, putzen, einkaufen, Tiere versorgen, …)
  • Familiäre Unterstützung (Fürsorge für & Versorgung und Pflege von den eigenen und des Partners Eltern, Geschwister, Verwandte)
  • Beziehungspflege (Event- & Reisenmanagement, Freizeitorganisation, Terminplanung, mentale Unterstützung, Zuhören & Ansprache, Problemlösungsstrategien, Eventplanung, sowie Geschenke- & Gäste-Organisation, seelische Hygienemaßnahmen, Orga rund um sportliche Aktivitäten, Sex-, Liebes- & Harmonieerhalt, Kinderwunschorganisation & -umsetzung, Zeit- & Konflikt- & Krisenmanagement, Lebensplanung, …)
  • Pflege des sozialen Umfeldes (Fürsorge für Freund*innenkreis, Erhaltung & Neubeginn von Freund*innenschaften, nachbarschaftliche Fürsorge, Kolleg*innenintegration, soziale Maßnahmen zur partnerlichen Karriereförderung …)

Dies ist eine unvollständige und nicht auf alle zutreffende Aufzählung. Sie zeigt aber, dass es sich bei Care-Arbeit nicht allein um „das bisschen Haushalt“ handelt, sondern um sehr viele, sehr komplexe und hochemotionale Vorgänge.

 „Emotional Labour“ (emotionale Arbeit) und „Mental Load“ (mentale Belastung) beschreiben die unsichtbaren Anteile in Care-Arbeit – die Organisation, Koordination, Kommunikations- & Verhandlungsprozesse, die notwendig sind, um einen funktionierenden Alltag und harmonische Beziehungen aufrechtzuerhalten.

Warum ist die Care Arbeit so ungleich verteilt?

Wie Paare oder Familien die Care-Arbeit aufteilen, ist keine reine Privatsache, sondern wird hauptsächlich von staatlichen Regelungen, Politik, Recht und gesellschaftlichen Normen stark beeinflusst. Patriarchal geprägte Geschlechterstereotype, die politisch und gesellschaftlich zementiert werden durch z.B. Innovationen aus der Mitte des letzten Jahrhunderts wie das Ehegatten-Splitting und das Familien-Ernährer-Modell.

“ Diesem Leitbild gemäß wird Sorgearbeit weitgehend privat, das heißt in Paar- und Familienbeziehungen, organisiert; ein „Alleinverdiener“ lebt hierfür in einer „Versorgerehe“ mit einer „Hausfrau“ zusammen, die die private Sorgearbeit übernimmt. Die Person, die sich der privaten Sorgearbeit widmet – meist sind es Frauen –, gerät dadurch in finanzielle Abhängigkeit von der Partnerin oder vom Partner und ist der Gefahr der Armut im Alter ausgesetzt. Da in diesem Modell davon ausgegangen wird, dass die Sorgearbeit privat geleistet wird und geleistet werden soll, bleibt die öffentliche Infrastruktur unterentwickelt, was alle anderen Lebensmodelle enorm erschwert – darunter leiden beispielsweise Alleinerziehende. Die meist männlichen Familienernährer müssen hingegen Zeit und Energie ausschließlich in den Beruf fließen lassen, für Sorgearbeit bleibt nur wenig Zeit.“ 1

Alle Gender Gaps haben ähnliche/gleiche Ursachen und bedingen sich größtenteils gegenseitig. Da Frauen aufgrund der oben genannten Gründe durchschnittlich mehr unbezahlt care-arbeiten (Gender Time Gap) und deswegen weniger und schlechter bezahlt lohnarbeiten (Gender Pay Gap), hat das beispielweise große Auswirkungen auf ihre Gehalts- und Karriereaussichten (Gender Lifetime Earnings Gap) und damit auf ihre Altersabsicherung (Gender Pension Gap). Schönen Dank auch.

Wir sehen, sowohl (patriarchale) Macht-Strukturen als auch politische Gesetzgebung sind hauptverantwortlich für die Ungleichstellung von Männern und Frauen in Deutschland. Es ist also kein rein „privates“ Dilemma, aus dem wir uns ganz einfach mithilfe einiger Tricks und guter Ratschläge befreien könnten, sondern ein systemisches.

Doch es hat natürlich auch einen privaten Anteil. Und damit kommen wir zu des Pudels Kern. Denn wie wir unsere Beziehungen und Familien leben, liegt ein Stück weit in unserem Handlungsspielraum.

Infantilisierung in Beziehungen & Gender Care Gap – eine unheilige Allianz

„Er hilft mit im Haushalt.“
„Er unterstützt mich schon bei den Kindern.“
„Er geht auch einkaufen, wenn ich ihm eine Liste mitgebe.“

Das sind Sätze, die ich so oder ähnlich in meinem (überwiegend weißen, cis hetero-normativen, teilweise akademischen und gefühlt emanzipierten) Umfeld von Frauen gehört habe. Und nein, es wird nicht über die 5-jährigen Söhne gesprochen, sondern über den eigenen Beziehungspartner. Unbemerkt wird mit diesen Aussagen eine absolute Verkehrung von einer Partnerschaft auf Augenhöhe hin zu einer Mutter-Kind-Beziehung aufgedeckt.

„Mithelfen“, „entlasten“, „unterstützen“ heißt in diesem Zusammenhang eigentlich nur, sich nicht voll verantwortlich zu fühlen. Es zeigt sich ein Beziehungsmuster, in der die Eine sich um das gesamte Miteinander im Alltag kümmert und an den Anderen nur die „zumutbaren“ Aufgaben delegiert. Der Andere begibt sich dabei freiwillig in die Unmündigkeit.

Obwohl beide erwachsen sind, gemeinsam im gleichen Haushalt leben, das Familien- und Beziehungsleben sehen und erleben, übernimmt nur eine die Verantwortung dafür.

„Fun“-Fact: Bei einer britischen Umfrage2 unter 2000 Menschen gaben die befragten Männer zu, ber der Hausarbeit (im eigenen Haushalt wohlgemerkt) tatsächlich absichtlich schlecht performt zu haben, um hinterher damit nicht noch einmal behelligt zu werden. Geht’s noch ein bisschen kindischer?

Symbolbild für Geschlechtergerechtigkeit: 50/50 in weiß auf schwarzem Untergrund; die Nullen sind jeweils ein Männlichkeits- und Weiblichkeitssymbol

Privat wie auf Arbeit – nur mit Liebe

Eben noch auf der Arbeit der fitte, fähige, mitdenkende, vorausschauende Verantwortungsträger mutiert im Privaten ganz gern mal zum personifizierten Kindchenschema.

Was eben noch eine gleichwertige Partnerschaft auf Augenhöhe von zwei Individuen zu sein schien, wird plötzlich zu einer Eltern-Kind-Beziehung. Und das ist doch in Bezug auf erwachsene Liebesbeziehungen mal eine wirklich unschöne Vorstellung oder?

Es geht also bei gleichberechtigter Sorgearbeit nicht nur um fifty-fifty Aufgabenverteilung, sondern vor allem um eine gleichwertige Verantwortungsübernahme. Care-Arbeit ist in punkto Planung, Organisation, Ausführung und Reflexion absolut vergleichbar mit Lohnarbeit, wird aber selten mit dem gleichen Willen zu Bestergebnissen oder hoher Performance ausgeführt.

Warum also nicht bei Care-Arbeit die gleichen Ansprüche an den Tag legen wie bei Lohn-Arbeit? Arbeitsbereitschaft zur Erreichung bestmöglicher Ergebnisse durch soziale und fachliche Kompetenz, Selbstorganisation, Eigenverantwortung, Kommunikationstalent, Lernbereitschaft, Optimierungswillen, Überblick, Kreativität, Zuverlässigkeit, Effizienz, Effektivität und einen Beitrag zum wertschätzenden Arbeitsklima durch Mitgefühl und Humoreinsatz.

Diese professionelle Einstellung zu Care-Arbeit auf beiden Seiten führt automatisch zu einer Beziehung auf Augenhöhe. Je tiefer allerdings die eigenen Ansprüche bei der Care-Arbeit liegen, desto mehr verschlechtert sich das Ergebnis und verhindert damit ein gutes Leben für alle.

Verantwortung braucht Kenntnis

Für eine Verantwortungsübernahme gehören u.a. folgende Grundkenntnisse auf beiden Seiten:

  • Ich weiß, was alles im Haushalt wie und wie oft zu tun ist. Und falls nicht, frage ich eine kompetente Person um Rat und verinnerliche die Antwort.
  • Ich weiß, was die in meinem Haushalt lebenden Kinder und Tiere (gern) essen und wo ich die entsprechenden Lebensmittel käuflich erwerben kann. Und falls nicht, frage ich eine kompetente Person um Rat und ….
  • Ich kenne meine*n Partner*in, ihren Alltag und spreche mich mit ihr ab zu allen Fragen der Sorgearbeit als Co-Founder dieser Beziehung/Familie.
  • Ich kenne meine Kinder oder eventuell betagten Eltern und ihre Bedürfnisse und kann ihre jeweiligen Fähigkeiten gut einschätzen. Ihren Bedürfnissen entsprechend organisiere ich meinen Tagesablauf, meine Zeitplanung und Freizeit.
  • Ich übernehme Verantwortung für ein funktionierendes und gerne mal harmonisches Miteinander, übernehme die Führung, wenn nötig, wobei ich mich auf Augenhöhe beratschlage mit den anderen im Haushalt lebenden.
  • Ich ermächtige mich und die anderen zur Verantwortungsübernahme durch Wissenstransfer, Erfahrungsaustausch und Innovationsfreude. (So wie idealerweise auch auf der Arbeit praktiziert, nur eben im Privaten – und mit Liebe.)

Und nun?

Erst mal sacken lassen. Und dann gemeinsam schauen:

  • Sind Zeichen einer Infantilisierung in unserer Partnerschaft erkennbar?
  • Falls ja, wie können wir dem gemeinsam entgegenwirken?
  • Übernehmen wir gleich viel Verantwortung für unser Zusammensein?
  • Falls nicht, wie können wir sie gerechter verteilen?
  • Welchen Stellenwert hat Care-Arbeit in unserem Zusammenleben für jeden von uns?
  • Könnten wir Care-Arbeit mit dem gleichen Anspruch wie Lohnarbeit behandeln?

Vielleicht als Teambuildingmaßnahme noch gemeinsam ein wenig weiterbildende Lektüre lesen, z.B. „wir sind doch längst alle gleichberechtigt!“ oder „unlearn patriarchy“. Und wenn dann alles ausdiskutiert und gerecht aufgeteilt ist, begegnen wir uns wieder auf Augenhöhe. Endlich, denn das ist auch viel besser zum Küssen.


Quellen: